Am neunten Baselbieter Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsforum (BAWF) vom 22. Oktober 2024 diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung der Region die Vor- und Nachteile zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Ist die KI ein nützliches Tool zur Optimierung von Geschäftsprozessen oder eine Gefahr für Arbeitsplätze? Experten (u.a. vom Fraunhofer Institut) und Unternehmer aus der Region, zeigten Nutzen und Möglichkeiten anhand praktischer Beispiele auf. Fazit: Kein Weg führt an diesem Trend vorbei. Um KI bestmöglich zu nutzen, sei es ratsam, vorab eine Daten-Strategie zu entwickeln, die Mitarbeitenden zu schulen, Experten beizuziehen bzw. Partnerschaften eingehen, hiess es. Angesichts der zu erwartenden immer rasanteren Veränderungen durch die neue Technologie «soll aber stets der Mensch im Mittelpunkt stehen», mahnte auch Regierungsrat Thomi Jourdan. Der Anlass fand im Eventhub von uptownBasel in Arlesheim statt – selbst KI-Hotspot und damit inspirierendes Umfeld.
«Der Physik-Nobelpreis ging 2024 an zwei KI-Grundlagenforscher. Künstliche Intelligenz hält in immer mehr Bereichen Einzug und betrifft uns mittlerweile alle», eröffnete Thomas Kübler, Leiter Standortförderung Baselland, das BAWF 24. Am Baselbieter Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsforum diskutieren jeweils Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung die Auswirkungen des Technologiewandels (wie der Digitalisierung) auf die Arbeitswelt. Der diesjährige Event widmete sich der brennenden Frage: «Ist die KI ein nützliches Tool zur Optimierung von Geschäftsprozessen oder eher eine Gefahr für Arbeitsplätze?»
«Effizient, spannend, schnell und unterstützend»
210 vorwiegend Unternehmerinnen und Unternehmer lockte das Thema am 22. Oktober nach Arlesheim. Gemäss einer am Event durchgeführten Saal-Umfrage beschäftigt sich die Mehrheit der Teilnehmenden mit KI, ein Grossteil sieht mehr Chancen als Risiken darin und bezeichnet diese Technologie als «effizient, spannend, schnell und unterstützend».
Spannendes geschieht auch bei uptownBasel. So erzählte Arealentwickler Hans-Jörg Fankhauser stolz von den zügigen Fortschritten beim Ausbau des hiesigen Hubs für Quanten- und AI-Technologien. Patrick Geiser, Deputy CEO von Phoenix Technologies AG, einer Partnerin von uptown Basel, hob die Bedeutung und Sicherheit des kürzlich installierten Super-Computers hervor: «Damit haben im Baselbiet Unternehmen, Behörden und NGOs Zugang zu modernster AI-Infrastruktur.»
Er wünschte sich am Anlass mehr Nähe von KI zu Wirtschaft, Verwaltung und Bevölkerung. Zur Demonstration hatte er seine KI-Assistentin Laura auf die Bühne mitgebracht und lud das Publikum ein, sich vor Ort einen digitalen Twin erstellen zu lassen.
Blinden Einsatz und Datenschutzverletzungen vermeiden
Tobias Deußer, Senior Data Scientist am Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme, stellte die Chancen von KI wie Effizienzsteigerung, verbesserte Arbeitsqualität und Kundenerlebnisse, Innovationen bzw. neue Produkte möglichen Gefahren wie Datenmissbrauch (gerade wenn die Systeme im Ausland stationiert sind), Stellenabbau und Abhängigkeit gegenüber.
«Das grösste Risiko ist jedoch, KI nicht zu nutzen.» Unbedingt zu vermeiden seien der blinde Einsatz, fehlende Transparenz, Überschätzung und Datenschutzverletzungen, die erhebliche rechtliche und finanzielle Folgen haben können.
Er riet, immer zuerst eine Daten-Strategie zu entwickeln, kleine Pilot-Projekte zu starten, die Mitarbeitenden zu schulen und Spezialisten beizuziehen. Dazu erläuterte er praktische Beispiele zur Anwendung von KI wie zur Erkennung von Hagelschaden am Auto und von Pflanzenkrankheiten in der Landwirtschaft, bei der personalisierte Bandenwerbung an Grossevents oder bei der Diagnostik in der Radiologie.
Partnerschaften für Umsetzung von KI
Den Einsatz von und Umgang mit KI veranschaulichten lokale Unternehmer. Alpha Diagnostics und die Stöcklin Logistik AG nutzen gemäss ihren CEO's, Markus Eigenmann (Foto rechts) und Jürg Frefel (Foto links), im Tagesgeschäft Sprach-Systeme für Übersetzungen und Vertragsklauseln.
Alpha Diagnostics setzt KI für neue Algorithmen ein, um frühzeitig Unregelmässigkeiten bzw. sich abzeichnenden Schäden in grossen Maschinen wie Schiffs- und Lokomotiv-Motoren zu erkennen. «Wir machen anhand gesammelter Daten Prognosen, wie lange ein Kunde beispielsweise noch ohne (teure) Wartung auskommt.» Weil es gewisse Grundkenntnisse für die Umsetzung brauche, pflegt das Unternehmen laut Eigenmann Partnerschaften mit Universitäten, welche die nötigen Tools und Skills haben.
Phoenix Technologies - Tech Cluster für KI-basierte Technologien - arbeitet mit IBM zusammen und stellt gemäss Patrick Geiser die internen Disziplinen auf KI um (Foto Mitte). Beispielsweise lässt sich die Kreditoren-Buchhaltung gut vollautomatisieren. Stöcklin Logistik nutzt KI bei der Rekrutierung. Jürg Frefel mahnte aber wegen der Datensicherheit zur Vorsicht im HR-Bereich.
Prozesse und Datenqualität verbessern
Alain Veuve, CEO & Founder, Parashift AG (Foto rechts), und Christoph Joder, Head Regional Development & Relations BaselArea, csem, erläuterten die mit KI möglichen Verbesserungen der Unternehmensprozesse, der Datenqualität und -sicherheit. Parashift hilft u.a. Banken, Versicherungen und Unternehmen im Health Care-Bereich mit KI-Lösungen dabei, ihre Effizienz bei der Dokumente-Verarbeitung zu steigern.
Bei CSEM klopfen gemäss Joder meist produzierende Firmen mit technischen Fragen an. Ziel sei, die Unternehmensdaten digital zugänglich zu machen. Dies sei eigentlich kein Problem, sondern vielmehr, zu viel Zeit dafür zu benötigen, die sich nicht mehr finanzieren lässt», so Joder.
Zuerst gehe es darum, «die Hausaufgaben zu machen, einen Business Case um KI zu schnüren und dann alles – unter Berücksichtigung des regulatorischen Regelwerks – sauber einzubauen, erklärte Veuve. So brauche es klare Rahmenbedingungen nach dem Motto «lieber vorher prophylaktisch als im Nachhinein therapeutisch».
Gleichzeitig warnten die Referenten und Podiumsteilnehmer am Anlass vor Überregulierung.
Effizienzsteigerung in der Baselbieter Verwaltung
Auch die Baselbieter Verwaltung setzt bereits erfolgreich KI ein. Dies berichteten Karin Kisiala, Leiterin Dienststelle Digitale Transformation Kanton Basel-Landschaft, und Roman Zaugg, stellvertretender Amtsleiter KIGA Baselland (und BAWF-Partnerin), anhand von Beispielen. Zum Beispiel lässt sich mithilfe von Voicebcot-Technologien bei Tausenden eingehender Anrufe der Aufwand erheblich reduzieren. Mit verbesserten Leistungen und schnelleren Prozessen steige die Kundenzufriedenheit spürbar an. Überdies bieten sich mit KI neue Services und Lösungen und können freiwerdende Ressourcen wiederum für die Kunden eingesetzt werden. Weiter setzen die Behörden Tools ein, um Texte klarer und verständlicher zu gestalten und sind sie zusammen mit dem Fraunhofer Institut daran, KI-unterstützte Arbeitszeit-Kontrollen zu erschaffen.
Unternehmen offen für neue Technologie
Zur «Künstlichen Intelligenz im Unternehmen» stellte Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel (und BAWF-Partnerin), die Ergebnisse einer Umfrage mit über 200 Unternehmenden aus dem Baselbiet und Leimental vor. Am meisten staunte er über die Offenheit der Befragten gegenüber dieser neuen Technologie. «Die Firmen haben erkannt, dass sie KI nutzen müssen. Dies betrachten sie als nächsten natürlichen Entwicklungsschritt mit spannenden Perspektiven wie zum Beispiel einer Starthilfe in ein neues Projekt.»
Hier bietet die Handelskammer mit ihrer Initiative «be digital» KMU im ICT-Sektor und mit der Bildung eines KI-Experten-Pools aktiv Unterstützung und ist eine Partnerschaft mit dem neuen AI-Innovation Center im SIP in Allschwil eingegangen. (Weiter ist geplant, einen ICT Accelerator mit beiden Kantonen aufbauen und Anbieter sowie Anwender miteinander zu vernetzen.)
Auch soziale Aspekte diskutiert
Trotz der vielen Optionen mit KI beschäftigt die lokalen Unternehmen neben dem Datenschutz vor allem der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen. So diskutierten die Referenten und Podiums-Teilnehmenden nicht nur die technischen, sondern auch die sozialen Aspekte: «Wichtig ist die Aufklärung der breiten Bevölkerung. Hier könne z.B. der Kanton eine Rolle in der Bildung spielen, betonte Markus Eigenmann von Alpha Diagnostics. «Das Wissen hinaustragen und eine positive Aufbruchstimmung in der Region schaffen», wünschte sich Alain Veuve von Parashift.
Jürg Frefel von Stöcklin Logistik findet es gut, (an Anlässen) über dieses Thema zu reden und es so (v.a. bei den Älteren) zu enttabuisieren. In den Betrieben gilt es laut Christoph von CSEM die (Berührungs-)Ängste abzubauen, indem man die betroffenen Mitarbeitenden regemässig über die Veränderungen informiert und mit ins Boot nimmt. «Die Sorgen können sich legen, wenn KI gut erklärt wird», versicherte Martin Dätwyler von der Handelskammer. Patrick Geisen von Phoenix Technologies riet sogar, «zuerst die HR-Themen zu lösen, damit es mit der neuen Technologie funktioniert: KI ist Unterstützer und Stärker vom Personal und von Talenten.» Empfehlenswert sei, nicht nur die Effizienzsteigerung, sondern auch die mit KI einhergehende Arbeitsaufwertung aufzuzeigen.
Mensch im Mittelpunkt
Angesichts der potenziell immer rasanteren Veränderungen durch die neue Technologie solle immer noch der Mensch im Mittelpunkt stehen, mahnte auch Regierungsrat Thomi Jourdan in seinem Schlusswort. «Lassen Sie uns gemeinsam ergründen, wie wir KI als Treiber des Wandels einsetzen können, während wir gleichzeitig die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen sichern. Nutzen wir das enorme Potenzial, das sich uns bietet», appellierte er an die teilnehmenden Unternehmen und bedankte sich für ihr zahlreiches Kommen. «Denn bereits mit Ihrem Interesse an KI zeigen Sie Verantwortung gegenüber unserer Wirtschaft und Gesellschaft.»
Bericht: Kathrin Cuomo-Sachsse, Redaktion startup baselland; Fotos: Pino Covino
Bannerfoto oben (v.l.): Tobias Deußer, Senior Data Scientist Fraunhofer Institut, Karin Kisiala, Leiterin Digitale Transformation Baselland, Christoph Joder, Head Reg. Development & Relations BaselArea, csem, Markus Eigenmann, CEO Alpha Diagnostics, Roman Zaugg, KIGA Baselland, Thomi Jourdan, Regierungsrat Baselland, Martin Dätwyler, Direktor Handelskammer beider Basel, Thomas Kübler, Leiter Standortförderung Baselland, Jürg Frefel, CEO Stöcklin Logistik AG, Patrick Geiser, Deputy CEO Phoenix Technologies AG, Alain Veuve, CEO Parashift AG, und Flurina Landis, Moderation.